Kopf
Vom Ende des Ersten Weltkrieges, der Gründung neuer Nationalstaaten
bis zum Ende des polnisch-bolschewistischen Krieges

Am Anfang soll die Auflistung politischer und militärischer Ereignisse stehen, die z.T. auch ohne erhebliche historische Bedeutung geblieben sind, aber den politischen und ideologischen Hintergrund für Entwicklungen in der „Zwischenkriegszeit“ - den Jahren zwischen dem Frieden von Riga (1921) und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges (1939) abgeben. Vor allem aber ist die Darstellung dieser Ereignisse für das Projekt von besonderem Interesse, weil die chaotischen politischen Verhältnisse und die erbitterten Kämpfe zwischen rivalisierenden Interessengruppen allein in Galizien und Wolhynien mehrere Millionen Todesopfer, vor allem auch unter der Zivilbevölkerung, forderten.

„Das Dorf schwamm und schwoll, purpurroter Lehm floss aus seinen trostlosen Wunden. Der erste Stern blitzte über mir auf und stürzte in die Wolken. Regen peitschte die Weidenbäume und nahm ihnen die Kraft. Der Abend flog zum Himmel auf, wie ein Schwarm Vögel, und die Finsternis legte mir ihren nassen Kranz um die Stirn. Ich war erschöpft und ging, gebückt unter der Totenkrone, weiter und erflehte vom Schicksal die einfachste aller Fähigkeiten – die Fähigkeit, einen Menschen zu töten.“ (Isaak Babel: „Die Reiterarmee“)

In einer im Grunde gesetzlosen Zeit wechselten die politischen Machtverhältnisse in vielen Gegenden oft innerhalb weniger Tage. Das war fast immer mit neuen Verhaftungen, Folterungen, Hinrichtungen und Massakern an der Zivilbevölkerung verbunden. „Heute ist jeder Richter über jeden... Und zum Tod verurteilt ist man ziemlich schnell...“
(Isaak Babel: „Die Reiterarmee“)

Wichtige Träger dieser Entwicklung waren:

Bolschewiki, die eine sozialistisch/kommunistische Gesellschaft über eine Diktatur des Proletariats aufbauen wollten,

ukrainische Kommunisten, die eine von Russland unabhängige ukrainische Sowjetrepublik errichten wollten,

zaristisch-bürgerliche Weißgardisten, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse der Zeit vor der Oktoberrevolution wieder herstellen wollten,

Sozialrevolutionäre, die soziale Reformen vor allem auf dem Lande anstrebten,

Anarchisten, die für egalitäre, herrschaftsfreie Gesellschaftsstrukturen zwischen individueller Freiheit und sozialer Verantwortung kämpften,

ukrainische Nationalisten, die eine unabhängige bürgerliche ukrainische Republik schaffen wollten,

westukrainische Separatisten, die auf Grund der besonderen historischen Entwicklung Galiziens im Unterschied zur Zentral- und Ostukraine staatliche Selbständigkeit oder einen weitgehenden Autonomiestatus innerhalb eines unabhängigen ukrainischen Staates beanspruchten,

deutsch-österreichische Besatzungsmacht, die das österreichische Kronland Galizien und Lodomerien erhalten und für die Zentral- und Ostukraine einen von Deutschland abhängigen Vasallenstaat errichten wollte,

der neu gegründete polnische Staat, der die zukünftigen Grenzen seines Landes an der Zeit vor den Teilungen Polens orientierte und dabei weite Gebiete der Ukraine beanspruchte.

Bündnisse und unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit zwischen einzelnen Gruppierungen wechselten häufig.

Da wir keine deutschsprachige zusammenfassende Darstellung der unterschiedlichen Ereignisse gefunden haben, die uns zugänglich war, haben wir aus zahlreichen Sekundärquellen zunächst eine tabellarische Übersicht zusammen gestellt, in welcher wesentliche Ereignisse der Jahre 1916 bis 1920 aufgelistet werden. Wir haben uns statt einer thematischen Gliederung, welche die Entwicklung der verschiedenen Strömungen behandelt, für eine chronologische Darstellung entschieden. Das mag den Eindruck einer scheinbaren Verwirrung erwecken, soll aber auch das Wirklichkeitserlebnis der damaligen Bevölkerungsmehrheit widerspiegeln, das als eine undurchschaubare Abfolge von Hoffnungen, Erfolgen, Repressionen, Gewaltakten und Niederlagen in jähem Wechsel erschien.

1916

Um den im 19. Jahrhundert entstandenen Konflikt zwischen Polen und Ukrainern über die Vorherrschaft im Kronland Galizien und Lodomerien zu entschärfen, gab der österreichische Thronfolger Erzherzog Karl Franz Joseph im Oktober 1916 das Versprechen, nach Beendigung des Krieges eine Teilung Galiziens in einen westlichen (polnischen) und einen östlichen (ukrainischen) Teil vorzunehmen.

Mit einem Akt vom 5. November 1916 proklamierten der deutsche Kaiser Wilhelm II. und der österreichische Kaiser Franz Joseph die Errichtung eines Königreichs Polen in den bisher zu Russland gehörenden Gebieten, das sich politisch und militärisch eng an die Mittelmächte anlehnen sollte (Regentschaftskönigreich [Królestwo Regencyjne] vom 5. November 1916 bis zum 11. November 1918). In Berlin plante man jedoch weiterhin Gebietsannexionen auf Kosten dieses Staates, dessen Grenzen nie genau festgelegt wurden. Kurz danach sprachen sich auch der russische Zar Nikolaus II. (am 25. Dezember 1916), und der US-Präsident Woodrow Wilson (am 22. Januar 1917) für die Wiederherstellung eines unabhängigen polnischen Staates aus, wobei nur die Vorstellungen des amerikanischen Präsidenten sich den polnischen Interessen und Wünschen bezüglich des Territoriums des künftigen polnischen Staates näherten.

1917

Die enorme Staatsverschuldung des russischen Zarenreiches und das ständige Ansteigen der kriegsbedingten Inflation verursachten in Russland den Zusammenbruch der Versorgung der Bevölkerung. Sie machten weitere Aktionen der zaristischen Militärführung unmöglich und steigerten die Unzufriedenheit der Bevölkerung, die im Februar 1917 zum Sturz des Zaren führte. Nach der Februarrevolution herrschte in Russland ein Nebeneinander von Parlament (Duma) mit seiner provisorischen Regierung und den Arbeiter- und Soldatenräten (den Sowjets) mit ihren Exekutivkomitees.

Die neue liberale Regierung Russlands unter Georgi Lwow und seit Juli 1917 Alexander Kerenski brach den Krieg jedoch nicht ab. Erst die Oktoberrevolution der Bolschewiki führte zu einer einseitigen Beendigung des Krieges durch Russland.

Am 4. März 1917 (die Datierungen der Ereignisse im damaligen Russland entsprechen dem julianischen Kalender) trat in Kiew (Kiev) ein Ukrainischer Nationalkongress zusammen. Er wählte einen obersten Rat (ukr. Zentralna Rada, „Zentralrat“ ). Der ukrainische Historiker Mychajlo Hruschewskyj wurde der erste Vorsitzende der Zentralna Rada. Hruschewskyj hatte Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts die theoretischen Grundlagen für eine ukrainische Nationalbewegung geschaffen, indem er der Auffassung eines einheitlichen ostslawischen (russischen) „Stromes der Geschichte“ sein Schema einer getrennten Entwicklung der Völker der Russen und Ukrainer entgegenstellte. In seiner Regierung dominierten Sozialdemokraten und Sozialrevolutionäre. Ihr Herrschaftsbereich umfasste die Zentral- und Ostukraine ohne die von der k.u.k. Monarchie beanspruchte Westukraine.

Am 22. Juli 1917 wurde Józef Piłsudski, der die 1. Brigade der Polnischen Legion unter österreichischem Oberbefehl geführt hatte und in der provisorischen Regierung des Regentschaftskönigreichs die Abteilung Heereswesen leitete, von der deutschen Besatzungsmacht in Schutzhaft genommen und in Deutschland interniert, weil er eine politisch unabhängige polnische Regierung gefordert hatte.

Ebenfalls 1917 gelang es in der Ukraine der überwiegend bäuerlichen Machno-Bewegung, eine anarchistische Revolution durchzuführen. Die Machnowschtschina enteignete die Großgrundbesitzer und Industriellen und organisierte die befreiten Gebiete, den so genannten "Freien Rayon" nach anarchistischem Muster in einem Netzwerk selbstverwalteter Kommunen, in denen ein Rätesystem aufgebaut wurde. Das Zentrum der Bewegung lag außerhalb des Projektraumes in dem Ort Guljajpole, dem Heimatort von Nestor Machno, im Saporosher Gebiet. In der Zeit ihrer größten Ausdehnung im Dezember 1919 gehörten der Machnowschtschina auf einer Fläche von etwa 10.000 km² mit 7 Millionen Einwohnern auf militärischer Ebene 83.000 Infanteristen und 20.000 Kavalleristen an.

In der Nacht vom 24. zum 25. Oktober begannen die Bolschewiki in Petrograd die Oktoberrevolution. Sie hatten den Zeitplan genau auf den Beginn des 2. Allrussischen Sowjetkongresses abgestimmt, um die Machtübernahme juristisch abzusichern.

Am Abend des 25. Oktober begann der 2. Allrussische Sowjetkongress mit Vertretern von mehr als 400 örtlichen Sowjets. Der größte Teil der Delegierten stammte aus den großen Industrieregionen und den politischen Zentren des Landes (Petrograd, Moskau, Kiev und Odessa). Von den 649 Delegierten waren 390 Bolschewiki, 160 Sozialrevolutionäre und 72 Menschewiki. Vor dem Hintergrund des bewaffneten Aufstandes der Bolschewiki verlangten die Sozialrevolutionäre und die Menschewiki, den Kongress aufzuschieben. Ihr Antrag wurde jedoch abgelehnt und die meisten ihrer Abgeordneten verließen den Kongress unter Protest. Einige Sozialrevolutionäre und Menschewiki harrten aus, am formalen Ablauf des Kongresses änderte sich dadurch nichts.

Der ukrainische Zentralrat rief am 20. November 1917 die Unabhängigkeit der Ukraine als Ukrainische Volksrepublik (Ukrajinska Narodna Respublika - UNR) aus und trat in Verhandlungen mit der sowjetrussischen Führung. Die UNR erklärte am 22. Januar 1918 ihre Unabhängigkeit von Russland.

Obgleich die Bolschewiki anfangs die Ukrainische Volksrepublik anerkannt hatten, wurde am 4. Dezember 1917 in Kiew (Kiev) auf Befehl aus Petrograd ein Allukrainischer Sowjetkongress gebildet, der als Gegenregierung zum Zentralrat fungieren sollte, allerdings noch am gleichen Tag in die Industriestadt Charkow (Charkiv) übersiedelte, wo er auf mehr politische Zustimmung stieß.

1918

Im Februar 1918 wurde das gesamte Territorium der Ukrainischen Volksrepublik von bolschewistischen Truppen besetzt.

Die UNR wandte sich an die westlichen Mächte mit der Bitte um Frieden und Militärhilfe gegen die Bolschewiki, die in Gestalt deutscher und österreichischer Truppen auch geleistet wurde. Zum Beispiel eroberten am 8. Februar 1918 Verbände der bolschewistischen Gegenregierung die Stadt Kiew (Kiev), wurden jedoch von deutschen Truppen vertrieben.

Nach dem Einmarsch der deutschen Besatzungstruppen im Februar 1918 wurde eine unabhängige Kommunistische Partei der Ukraine gegründet, in der kurzzeitig diejenigen Kräfte die Oberhand gewannen, die auf dem Ersten Parteikongress im April 1918 dafür eintraten, dass die ukrainische KP unabhängig sein und als eigene Sektion an der Gründung der Kommunistischen Internationale (Komintern) beteiligt werden solle. Demgegenüber beschloss jedoch die als Gegenkraft gegründete erste Konferenz der ukrainischen KP(B) in Moskau unter dem Einfluss Lenins, die Partei solle einfach eine regionale Abteilung der russischen KP werden.

Am 9. Februar 1918 schloss die Ukrainische Volksrepublik in Brest-Litowsk einen separaten Friedensvertrag mit den Mittelmächten (Brotfrieden).

Am 3. März 1918 wurde der Friedensvertrag zwischen Sowjetrussland und den Mittelmächten, ebenfalls in Brest-Litowsk, geschlossen. Sowjetrussland erlitt massive territoriale Verluste. Es verzichtete auf Ansprüche in Polen, Litauen und Kurland. Estland und Livland sollten weiterhin von deutschen Polizeitruppen besetzt bleiben. Finnland erhielt seine Unabhängigkeit. Das Deutsche Reich zog seine Truppen aus Weißrussland zurück und versprach, nicht auf Seiten der Gegner der Bolschewiki im Russischen Bürgerkrieg einzugreifen.
Sowjetrussland verpflichtete sich, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen. Das Land blieb von den Garantiemächten Deutschland und Österreich-Ungarn bis nach dem Ende des Ersten Weltkriegs besetzt und verwaltet.

Der Zentralrat der Ukrainischen Volksrepublik wurde von der deutsch-österreichischen Besatzungsmacht aufgelöst. Im April 1918 wurde der in Wiesbaden geborene zaristische General Pawlo Skoropadskyj von der deutschen Seite als Hetman an die Spitze des ukrainischen Staates gesetzt. Die Ukrainische Volksrepublik wurde in „Ukrainischer Staat“ umbenannt. Symon Petljura, der 1905 Mitbegründer der Ukrainischen Arbeiterpartei und seit 1917 Mitglied des Zentralrates der Ukrainischen Volksrepublik gewesen war, wurde in Skoropadskyjs Kabinett Kriegsminister.

Am 7. Oktober 1918 proklamierte der Regentschaftsrat (provisorische Regierung des Regentschaftskönigreiches Polen) einen unabhängigen polnischen Staat (formelle Gründung am 11. November 1918). Der aus der deutschen Haft entlassene Józef Piłsudski hat als „Vorläufiges Staatsoberhaupt“ die Macht übernommen. Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags wurde Polen 1919 eine international anerkannte und unabhängige Republik. 1921 wurde eine Verfassung verabschiedet.

Am 28. Oktober 1918 wurde vom polnischen Regentschaftsrat die „Liquidationskommission“ (Polnischer Liquidationsausschuss Galiziens und des Teschener Schlesiens/ Polska Komisja Likwidacyjna Galicji i Śląska Cieszyńskiego) ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe war, die früher zu Polen gehörenden Teile der zerfallenden Donaumonarchie in die sich konstituierende Zweite Polnische Republik zu überführen und bis dahin die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten.

Der letzte österreichische Statthalter des Königreiches Galizien und Lodomerien übertrug, der Vereinbarung aus dem Jahre 1916 entsprechend, am 31. Oktober 1918 die Kontrolle über Ostgalizien offiziell an die Ukrainer. Am 1. November 1918 gründete sich in Lemberg (Lviv) die „Westukrainische Volksrepublik“ (Sachidno-Ukrajinska Narodna Respublika [SUNR]). Sie hatte sich unter dem Einfluss der „Zentralna Rada“ befunden und stand in Opposition zu den Bolschewiki. Die ursprünglich für den 3. November 1918 geplante Proklamation war vorgezogen worden, nachdem die ukrainischen Aktivisten erfahren hatten, dass die am 28. Oktober gegründete Polnische Liquidationskommission beabsichtigte, ihren Sitz in Lemberg (Lviv) einzurichten.

Die Streitkräfte der Westukrainischen Volksrepublik bestanden im Wesentlichen aus „Sič-Schützen“ (Verbände von freiwilligen Ukrainern, die in der Habsburger Monarchie gelebt und in der k.u.k. Armee gekämpft hatten.) Bei ihrem Einmarsch in Lemberg (Lviv) wurde ihnen von örtlichen polnischen Verteidigern, die sich zum großen Teil aus Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg, Studenten und Kindern zusammensetzten, erfolgreich Widerstand geleistet. Nach zwei Wochen andauernder schwerer Kämpfe innerhalb der Stadt brach eine bewaffnete Einheit der polnischen Armee durch den ukrainischen Belagerungsring und gelangte in die Stadt. Am 21. November wurden die Ukrainer zurückgeschlagen.

Als am 22. November 1918 die polnischen Truppen die Oberhand in der Stadt gewinnen konnten, wurde der Regierungs- und Parlamentssitz der Westukrainischen Volksrepublik über Tarnopol (Tarnopil) nach Stanislau (Stanisławów, dem heutigen Iwano-Frankivsk), verlegt.

Eines der größten Massaker an Zivilisten ereignete sich, als Lemberg (Lviv) am 21./22. November 1918 von polnischen Truppen eingenommen wurde. Bei einem Pogrom, der vom 22. bis zum 24. November andauerte, töteten polnische Soldaten sowie Milizionäre und Zivilisten eine große Anzahl von Juden. Ihnen wurde ihre bis dahin neutrale Haltung im Konflikt zwischen Polen und Ukrainern vorgeworfen.

Am 11. November 1918 war mit dem Waffenstillstand von Compiègne der Erste Weltkrieg beendet worden. Dies annullierte in weiterer Folge den Friedensvertrag von Brest-Litowsk und die Garantiefunktion der Mittelmächte für die Ukraine. Das Hetmanat konnte sich nicht mehr halten. Der von den Mittelmächten eingesetzte Hetman Pawlo Skoropadskyj wurde von den Machnowschtschina vertrieben und der Zentralrat kehrte nach Kiew (Kiev) zurück.

Die ukrainischen Streitkräfte der Westukrainischen Volksrepublik kontrollierten weiterhin den größten Teil von Ostgalizien und waren auch bis zum Mai 1919 eine Bedrohung für die polnisch besetzte Stadt Lwów (Lviv). Im Dezember 1918 begannen die Kämpfe zwischen polnischen und ukrainischen Gegnern in Wolhynien. Polnische Einheiten versuchten, die Kontrolle über die Region zu gewinnen, während zur selben Zeit die Kräfte der Westukrainischen Volksrepublik, seit Anfang 1919 unter der Führung von Symon Petljura, versuchten, die von ihnen kontrollierten Gebiete nach Westen hin, in Richtung der polnischen Stadt Chełm, auszudehnen.

1919

Am 22. Januar 1919 beschloss das Parlament der Westukrainischen Volksrepublik die Vereinigung mit der Ukrainischen Volksrepublik. Dies geschah allerdings unter dem Vorbehalt, dass das Gebiet der Westukrainischen Volksrepublik einen weitgehenden Autonomiestatus bekäme, da es sich von den zentral- und ostukrainischen Gebieten auf Grund seiner historischen Entwicklung stark unterschied.

Nach dem Abzug der deutschen Truppen im November 1918 trat in der nun wieder so benannten Ukrainischen Volksrepublik an die Stelle des Hetmans ein Direktorium, an dessen Spitze seit 1919 Symon Petljura stand. Er kämpfte sowohl gegen die Bolschewiki als auch gegen Teile der russischen Konservativen („Weiße“), rivalisierende Ukrainer unter Pawlo Skoropadskyj und Polen. Sein Regime kam einer Militärdiktatur gleich, gegen die sich alsbald eine breite oppositionelle Massenbewegung bildete.

Unter Petljuras Herrschaft ereignete sich eine Vielzahl von Pogromen gegen die zahlreiche jüdische Bevölkerung der Ukraine, wobei man von 35.000 bis 100.000 Toten ausgeht. Petljura führte zwar gesetzliche Strafen für Gewalt gegen jüdische Zivilisten ein, die Umsetzung dieser Gesetze wurde jedoch von ihm nur nachlässig eingefordert. So kam es, dass rund 40% aller Pogrome von Truppen ausgeführt sein sollen, die loyal zu dem von Petljura angeführten Direktorium standen.

Zu Beginn des Jahres 1919 massakrierte die ukrainische Armee unter Petljuras Kommando während ihres Rückzugs vor der Roten Armee Juden in Berdytschiw, Zhytomyr und Proskuriw, wo innerhalb einiger Stunden etwa 1.700 Menschen ermordet wurden.

Im polnisch-ukrainischen Krieg, der mit der Gründung der Westukrainischen Republik in Lwów (Lviv) begonnen hatte, setzte die polnische Generaloffensive in Wolhynien und Ostgalizien am 14. Mai 1919 ein. Sie wurde von Einheiten der polnischen Armee durchgeführt, unterstützt von der kurz zuvor eingetroffenen „Blauen Armee“, die aus polnischen Freiwilligen bestand, welche im Ersten Weltkrieg auf Seiten der Entente an der Westfront gekämpft hatten. Diese Armee war von den westlichen Verbündeten gut ausgestattet und teilweise mit erfahrenen französischen Offizieren besetzt, um gegen die Bolschewiki und nicht gegen die Einheiten der Westukrainischen Volksrepublik zu kämpfen. Ungeachtet dessen setzten die Polen die „Blaue Armee“ gegen die Ukrainer ein, um das Patt in Ostgalizien für sich zu entscheiden.

Das Hauptmotiv der polnischen Führung, allen voran des Staatsoberhauptes Józef Piłsudski, war die Erlangung einer möglichst starken Position gegenüber jenen Staaten, die mehr als hundert Jahre zuvor an den Teilungen Polens beteiligt waren – also Russland, Preußen und Österreich. Dies führte nicht nur zu Auseinandersetzungen mit Russland, sondern u.a. auch mit Deutschland um Posen (Großpolnischer Aufstand) oder in den Abstimmungsgebieten Schlesiens, wo sich deutsche Freikorps und polnische Nationalisten zeitweise (bis 1921) gegenüber standen. Polen kämpfte mit der Tschechoslowakei um Teschen und mit der Ukraine um Galizien. Den größten Spielraum sah die polnische Führung im Osten.

Im Mai 1919 konnte Polen auch in Stanislau (Iwano-Frankivsk) durch eine Machtergreifung seitens der polnischen Bevölkerungsgruppe die Oberhand gewinnen. Und im Juli 1919 konnte Polen die letzten Teile der Westukrainischen Volksrepublik besetzen. Am 21. November 1919 sprach der Hohe Rat der Pariser Friedenskonferenz Ostgalizien für die Zeitdauer von 25 Jahren Polen zu.

Seit Beginn der russischen Revolution polarisierten sich die ukrainischen Parteien in Anhänger und Gegner einer sozialistischen Revolution. Nach Abzug der Deutschen und Österreicher besetzten in diesem sowohl für die russische als auch für die ukrainische Revolution günstigen Moment die Bolschewiki erneut die Ukraine.

Die Sowjet-Ukrainische Führung erwies sich indessen als ausführendes Organ des russischen Revolutionsstaates. Für die Staatsverwaltung und die Armee wurden vorwiegend Russen eingesetzt, die sprachliche Russifizierung wurde gefördert. Die mit den Bolschewiki verbündeten Borotbisten (die aus dem linken Flügel der Sozialrevolutionären Partei entstanden waren) beschrieben diese Regierungspolitik in einem Brief an Lenin als „Expansionismus eines roten Imperialismus“, d.h. eines russischen Nationalismus. In der Folge griff sogar die extreme Linke der Sozialdemokratie zu den Waffen, um gegen die „russische Besatzerregierung“ zu kämpfen. In dieser verworrenen Situation tauchte der weißgardistische General Denikin auf, dessen Truppen die russische Revolution bedrohten und im Herbst 1919 versuchten, vom Nordkaukasus her auf Moskau vorzustoßen. Die bolschewistische Führung in Moskau entschloss sich zu einer Änderung ihrer Politik. Als die Rote Armee im November 1919 gegen Denikin in die Offensive ging, erklärte Trotzki: „Die Ukraine ist das Land der ukrainischen Arbeiter und arbeitenden Bauern. Nur sie haben das Recht, in der Ukraine zu herrschen, sie zu regieren und ein neues Leben in ihr aufzubauen. […] Vergesst das nie: Eure Aufgabe ist nicht, die Ukraine zu erobern, sondern sie zu befreien. Wenn Denikin endgültig zertrümmert ist, werden die arbeitenden Menschen der Ukraine selbst entscheiden, welcher Art ihre Beziehungen zu Sowjetrussland sein werden. [...] Es lebe die freie und unabhängige Sowjet-Ukraine!“

Diese Wende brachte den Bolschewiki spektakuläre Erfolge. Es erneuerte sich das Bündnis mit den Machnowschtschina und deren ukrainischer Aufstand trug entscheidend zur Niederlage Denikins bei.

Generell hatte Denikin denselben Fehler gemacht, wie sein nominell übergeordneter Befehlshaber Koltschak. Er stieß weder Reformen an, noch stellte er ein detailliertes politisches Programm auf. Im Gegensatz zu den Bolschewiki formulierte er nicht einmal eine Vision, die seine Bewegung auf eine breite emotionale Basis hätte stellen können. Er versuchte, die von ihm kontrollierten Gebiete – auf dem Höhepunkt des Vormarsches umfassten sie 42 Millionen Menschen – mit einer Militärdiktatur als „Übergangslösung“ zu regieren. Doch selbst dieser bescheidene Anspruch schlug fehl. Durch Plünderungen, den Mangel an politischem Programm und der diktatorischen Regierungsstruktur entfremdeten die weißen Generäle die gebildete Schicht der Städte von ihrer Bewegung. Infolgedessen waren sie selbst personell nicht in der Lage, einen tragfähigen Verwaltungsapparat aufzubauen, da ihnen die Intelligenzija die Zusammenarbeit verweigerte. Die Administration der Antikommunisten blieb auch in Südrussland ineffizient und ohne breite Unterstützung. Dadurch verstärkten sich selbstverständlich die Versorgungsprobleme der Truppen an der Front noch mehr und die Plünderungen nahmen weiter überhand. Denikin musste sich auf die damals russische Halbinsel Krim zurückziehen und floh von dort aus nach Großbritannien.

1920

Im März 1920 beschlossen die Borotbisten die Vereinigung mit den Bolschewiki. Die ukrainische KP wurde aber auch daraufhin nicht als eigenständige Sektion in die 1919 gegründete Komintern aufgenommen.

Die Ukrainische Volksrepublik endete als administrative Macht im Februar 1920, als die Rote Armee das gesamte Land besetzt hatte. Symon Petljura floh nach Polen, wo er als legaler Regierungschef der Ukraine anerkannt wurde und im März 1920 in Lublin ein Friedensabkommen mit der polnischen Regierung unterzeichnete, wobei er im Tausch für militärische Hilfe gegen die Bolschewiki die polnischen Bedingungen für die Grenzziehung im Osten akzeptierte.

Als die Regierung der Ukrainischen Volksrepublik unter Symon Petljura am 21. April 1920 auf alle ukrainischen Ansprüche in Bezug auf Ostgalizien verzichtet hatte, um gemeinsam mit Polen gegen die Bolschewiki zu kämpfen, fühlten sich die galizischen Ukrainer verraten, wechselten auf die Seite der Roten Armee über und schlossen sich der Ukrainischen Sowjetrepublik an, was die Kräfteverhältnisse im Bürgerkrieg in der Ukraine spürbar verschob.

Die Kämpfe in der Westukraine waren Teil des Polnisch-Bolschewistischen Krieges geworden, der dadurch begonnen hatte, dass Lenin der Roten Armee befohlen hatte, nach Westen zu ziehen, um die sozialistischen Revolutionen in Deutschland und Österreich zu unterstützen. Im Gegenzug überschritt die polnische Armee am 25. April 1920 mit der Unterstützung einiger Einheiten Petljuras die galizische Ostgrenze und besetzte am 7. Mai 1920 für sechs Wochen Kiev.

Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges hatten zwar mit der Curzon-Linie einen provisorischen Verlauf der polnischen Ostgrenze festgelegt, der es vermied, eine Reihe von nichtpolnischen Volksgruppen unter polnische Herrschaft zu stellen, andererseits aber viele Polen von ihrem Nationalstaat ausschloss. Russland, durch die Oktoberrevolution vorzeitig aus dem Krieg ausgeschieden, nahm an diesen Verhandlungen über die Nachkriegsregelungen nicht teil. Somit war eine Grenzregelung zwischen Polen und dem nunmehr bolschewistischen russischen Staat nicht getroffen worden.

Marschall Piłsudski, der die polnischen Streitkräfte kommandierte, strebte eine möglichst weit nach Osten reichende Einflusssphäre in Form einer osteuropäischen Konföderation unter polnischer Führung an. Als Vorbild diente dabei der Verlauf der Ostgrenze Polen-Litauens am Vorabend der Teilungen Polens (1772). Eine vollständige Unabhängigkeit der Ukraine und Weißrusslands, die von diesen teilweise angestrebt wurde, war sowohl von den polnischen als auch den bolschewistischen Interessen her ausgeschlossen. In der Ukraine wurde Polen dennoch von nationalen Kräften unterstützt, die zuvor von den Bolschewiki entmachtet worden waren.

Die polnische Seite versprach im Falle eines Erfolges gegenüber Sowjetrussland die Wiedereinsetzung von Petljuras Regime. Dies wäre ein großer Schritt in Richtung der polnischen Konföderationspläne gewesen. Im Falle eines militärischen Sieges sollte die Ukraine als mit Polen verbündeter Pufferstaat gegen Russland dienen. Petljura ergriff damit die letzte Chance, die Eigenstaatlichkeit der Ukraine wiederherzustellen. Beide Politiker ernteten in den eigenen Lagern heftige Kritik. Piłsudski wurde von Roman Dmowskis Nationaldemokraten angegriffen, die die Unabhängigkeit der Ukraine vollkommen ablehnten. In der ukrainischen Bevölkerung war die Annäherung Petljuras an Polen weitgehend unpopulär. Die polnische Armee hatte 1919 noch gegen die ukrainischen Nationalisten Krieg geführt. Die Ukrainer in Galizien, deren Staat nach der militärischen Besetzung nach Polen eingegliedert worden war, sahen in dem Abkommen einen regelrechten Verrat ihrer Interessen. So kam es Mitte 1920 zu einer Spaltung der ukrainischen Nationalbewegung in Anhänger Petljuras, die an polnischer Seite kämpften und Verbündete der Bolschewiki, die auf die Seite der Roten Armee übergewechselt waren.

Das noch im Bürgerkrieg gegen die weißgardistischen Truppen befindliche Russland der Bolschewiki war seinerseits bestrebt, seine Einflusssphäre in den Westen zu verschieben bzw. eine proletarische Revolution in Deutschland auszulösen, um damit die „Weltrevolution“ voran zu bringen. „Im Westen wird das Schicksal der Weltrevolution entschieden. Über der Leiche Weißpolens verläuft die Straße zum Weltenbrand. Auf Bajonetten werden wir der arbeitenden Menschheit Frieden und Glück bringen.“ Diese Parole gab der Revolutionäre Militärrat Sowjetrusslands im Juli 1920 in einer Proklamation an Soldaten der Roten Armee aus.

Anfänglich erzielte Polen im polnisch-bolschewistischen Krieg große Erfolge und besetzten weite Landstriche der Ukraine. Zwar wurde Kiev am 7. Mai erobert, doch die eigentlichen Ziele des Unternehmens wurden verfehlt. Piłsudski erhoffte sich starke Unterstützung von den ukrainischen Nationalisten, denn er wusste, dass die polnische Armee allein das große Land weder besetzen noch wirksam gegen die Rote Armee verteidigen konnte. Eine politische Kampagne in der Ukraine sollte durch Appelle an den ukrainischen Patriotismus um Unterstützung für die Streitkräfte Petljuras werben. Aber die Ukraine war schon seit 1914 Kriegsschauplatz, die Bevölkerung war der Kämpfe müde, und Petljura war schon einmal im Kampf gegen die Rote Armee gescheitert. Infolgedessen blieb die Resonanz auf die Rekrutierungsbemühungen gering.

Bald warf die Rote Armee die feindlichen Streitkräfte bis ins polnische Kernland zurück, so dass eine Niederlage und Besetzung Polens erwartet wurde. Auf Befehl der Kommunistischen Partei Russlands (KPR [B]) wurde am 28. Juli in Białystok (PL/ Woiwodschaft Podlaskie) eine polnische bolschewistische Regierung installiert, das „Provisorische Polnische Revolutions-Komitee“ (polnisch: Tymczasowy Komitet Rewolucyjny Polski, TKRP). Sie sollte die Verwaltung der durch die Rote Armee eroberten polnischen Gebiete übernehmen. Diese kommunistische Gruppe hatte jedoch so gut wie keinen Rückhalt in der polnischen Bevölkerung.

In der Schlacht von Warschau („Wunder an der Weichsel“) schlugen die polnischen Streitkräfte die bolschewistische Armee und drängten sie in der Folge bis in die Ukraine zurück.

Die Kriegshandlungen verliefen auf beiden Seiten äußerst brutal. Beide Seiten versuchten, tatsächliche oder erfundene Verbrechen der Gegenseite propagandistisch auszuschlachten, so dass es schwer fällt, zwischen Mythos und Verbrechen zu unterscheiden. Aber auch polnischen Angaben zufolge fielen z.B. im Winter 1920/21 Zehntausende der 110.000 nach der Schlacht um Warschau gefangenen genommenen sowjetischen Rotarmisten Hunger, Folter, Kälte, Krankheiten und Exekutionen in polnischen Internierungslagern zum Opfer.

Die polnische Armee hatte von der Regierung die Order erhalten, jegliche Sympathisantentätigkeit gegenüber den Kommunisten zu unterbinden. Dies stellte einen Freibrief zur Gewaltanwendung dar, der vor allem die ukrainische und weißrussische Bevölkerung hart traf. Doch auch auf bolschewistischer Seite kam es zu Übergriffen gegen die Bevölkerung und den Kriegsgegner. Die Rote Armee praktizierte auch hier ihre im Bürgerkrieg angewandte Methode der Geiselnahme und ggf. Ermordung von Zivilisten, um entweder die örtliche Bevölkerung zur Kooperation zu zwingen oder um mögliche Freischärler abzuschrecken.

Besonders hart traf es wiederum die jüdischen Gemeinden, die von beiden Seiten als Feind angesehen wurden. Die ukrainischen Verbündeten der Polen unter Petljura werden für eine große Zahl an Pogromen und Massenmorden gegen die jüdische Bevölkerung verantwortlich gemacht.

Schätzungen über die militärischen Verluste belaufen sich auf 431.000 Soldaten für die Rote Armee in beiden Kriegsjahren. Die polnischen Truppen verloren 1920 etwa 202.000 Soldaten, wobei dieser Zahl sowohl Verwundete, Tote als auch Gefangene zu Grunde liegen.

Nach den weiteren Siegen der polnischen Armee in den Feldzügen nach der Schlacht von Warschau begannen beide Seiten erste Verhandlungen, um den Kriegszustand zu beenden. Polen versprach sich von einem weiteren Vorgehen gegen Sowjetrussland keinen Gewinn. Außerdem hätte ein Winterfeldzug die Wirtschaftskrise, die in Polen herrschte, noch weiter verstärkt. Die bolschewistische Seite war am Rande einer militärischen und wirtschaftlichen Katastrophe. Des Weiteren wurde der Sowjetstaat durch die letzte Offensive der Weißen unter General Wrangel noch weiter unter Druck gesetzt. Die Unterredungen zwischen Polen und den Bolschewiki begannen am 21. September 1920 in der lettischen Hauptstadt Riga.

Es dauerte allerdings bis zum 12. Oktober, bis die beiden Parteien sich einigen konnten. Der Waffenstillstand trat am 18. Oktober 1920 in Kraft. Aber erst am 18. März 1921 wurde ein formeller Friede geschlossen, da die polnische Armee weiterhin gegen die Sowjets operierende ukrainische Einheiten unterstützte.

Nach der Festlegung der Grenzen von 1920/1921 wurde das Gebiet der Ukraine nunmehr zwischen vier Staaten aufgeteilt: die Sowjetukraine, die 1922 eine der Gründungsrepubliken der UdSSR wurde, Polen, die ČSR und Rumänien. Durch die sowjetischen Gebietsabtretungen wurde die polnische Grenze bis zu 250 Kilometer östlich der Curzonlinie verschoben. Diese Gebiete waren mehrheitlich von Ukrainern und Weißrussen besiedelt, so dass sowohl Polen als auch Russen dort eine Minderheit darstellten.

Die russische Sowjetregierung erkannte also die Herrschaft Polens über Galizien an, bestand jedoch auf einer sowjetischen Ukraine. Damit wurde die ukrainische Nationalbewegung von Polen de facto fallengelassen.

1923 wurde ganz Ostgalizien und das im ehemaligen russischen Teilungsgebiet liegende Wolhynien – beide im ländlichen Bereich überwiegend ukrainisch geprägt, vom Völkerbund endgültig Polen zugesprochen.

In der Sowjet-Ukraine unterlagen letztlich auch die anarchistischen Partisanen der Machnowschtschina, welche zunächst den Bolschewiki gegen die „Weißen” halfen, dann 1921 jedoch von den Bolschewiki nicht als gleichwertiger Partner anerkannt wurden, so dass die Ukraine von der Roten Armee unter Trotzki in einem blutigen Krieg – entgegen den Versprechungen aus dem Jahre 1919 – de facto an Sowjetrussland angeschlossen wurde. Die letzten Gruppen der Machnowschtschina wurden bis zum Sommer 1922 besiegt und aufgerieben.

Die oben dargestellten Ereignisse werden heute im öffentlichen Raum eher selten erinnert. Das hat seine Ursachen zum Einen darin, dass eine große Anzahl der damals handelnden Strömungen keine einflussreiche Nachfolge gefunden hat, die sie im öffentlichen Raum verehrt hätte. Die Machnowschtschina wurde nach dem Ende des Bürgerkrieges von der Roten Armee liquidiert, Nestor Machno floh ins Ausland. Die weißgardistischen Generale wurden vertrieben. Alexander Denikin starb in den USA, seine sterblichen Überreste wurden aber 2005 mit Erlaubnis der russischen Regierung in Moskau beigesetzt. An das Wirken von Wrangel erinnert ein Denkmal in Serbien. Auf dem Janiv-Friedhof in Lviv befinden sich Grabstätten von russischen Soldaten der Denikin- und der Wrangel-Armee. Die ukrainischen Nationalbewegungen wurden in der Folgezeit sowohl von polnischer als auch von sowjetischer Seite aus verfolgt und haben erst seit der staatlichen Unabhängigkeit der Ukraine 1991 die Möglichkeit, ihre Erinnerungskultur im öffentlichen Raum zu artikulieren.

Zum Anderen ist vermutlich von Bedeutung, dass die nachfolgenden Entwicklungen – insbesondere der Zweite Weltkrieg und seine Folgen – die Ereignisse vom Beginn des Jahrhunderts auch im öffentlichen Bewusstsein überlagern und in den Hintergrund treten lassen.

Bemerkenswert ist allerdings, dass die Erinnerungen an Vertreibungen, Terrorakte und Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung, die alle Konfliktparteien in diesen Jahren gleichermaßen verübt haben, von den jeweiligen Protagonisten bis heute weitgehend verschwiegen werden und keine Gedächtnisorte im öffentlichen Raum hinterlassen haben. Deutlich im Vordergrund steht die Heldenverehrung mit dem Ziel, das jeweilige nationale Selbstbewusstsein zu stärken.

Dabei konnten wir verallgemeinernd feststellen, dass man heute in der Ukraine in Bezug auf den hier dargestellten Zeitraum eine pluralistische Erinnerungslandschaft vorfindet, die in anderen europäischen Ländern in dieser Weise eher selten anzutreffen ist.

In den letzten zwanzig Jahren konnten erstmalig in der Geschichte der Ukraine Orte geschaffen werden, die an die Kämpfe um die nationale Unabhängigkeit am Anfang des 20. Jahrhunderts erinnern.

Daneben gibt es Zeugnisse aus der Zeit der polnischen Herrschaft zwischen den Kriegen, welche die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und der anschließenden Sowjetmacht – meist auf Friedhöfen – überstanden haben, z.B. polnische Soldatengräber aus den Jahren 1919/1920 auf den Friedhöfen in Wolodymyr- Wolhynskij (Bild links) und in Brody (Bild rechts).



Und schließlich sind Gedenkstätten an das Geschehen in den Jahren zwischen 1917 und 1921, welche die Geschichte aus sowjetischer Sicht interpretieren, im Lande ebenfalls präsent, wenn auch die Bilder der damals handelnden Personen weitgehend aus dem öffentlichen Raum verschwunden sind. In den galizischen Städten Brody, Lviv und Horodok haben wir keine Denkmäler mehr gefunden, die eine kommunistische Interpretation der in Frage stehenden Ereignisse zum Ausdruck gebracht hätten. Die Verantwortlichen in Brody haben uns erklärt, alle derartigen Skulpturen, die aus Bronze bestanden hätten, seien nach 1990 gestohlen worden. Auch in den anderen Städten sind in den letzten zwanzig Jahren die Denkmäler entfernt worden, die die Führer der Oktoberrevolution und der frühen Sowjetjahre dargestellt haben und die wie in einer zweiten (Götter-)Welt auf öffentlichen Straßen und Plätzen für die Bevölkerung stets gegenwärtig waren. An die Stelle der zahllosen Lenin-Denkmäler sind heute oft Skulpturen von Taras Schewtschenko, dem ukrainischen Nationaldichter, getreten, auf den sich offenbar alle politischen und weltanschaulichen Strömungen im Lande als einer Leitfigur für ukrainisches nationales Selbstverständnis einigen konnten.
(Bild links: Schewtschenko-Denkmal in Brody, rechts: Schewtschenko-Denkmal in Rivne)



In den Gebieten Wolhyniens, die bereits 1921 zur Sowjet-Ukraine gehörten, findet man allerdings öfter noch Lenin-Statuen, die an den Gründer der Sowjetunion erinnern. Die Figuren sind ins Monumentale überhöht und sollen so die herausragende Bedeutung der „Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ und ihres Führers Wladimir Iljitsch Lenin zum Ausdruck bringen. Die Skulpturen sind Teil größerer Ensembles meist repräsentativer Verwaltungsbauten, die allerdings erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden sind und heute unter Denkmalschutz stehen. So z.B. in Novohrad-Wolhynskij (Bild links) und Zhytomyr (Bild rechts).



Bereits zu Lebzeiten von Józef Piłsudski, der zentralen Persönlichkeit aus der Gründungsphase der Zweiten Polnischen Republik,, wurde dieser zu einer Kultfigur, was sich – auch nach seinem Tod 1935 - außer in Publikationen und Feierlichkeiten insbesondere in Skulpturen auf öffentlichen Plätzen ausdrückte. Während des Zweiten Weltkrieges und in der Zeit der sozialistischen Volksrepublik Polen wurde offiziell versucht, diese Erinnerungen auszulöschen, die im Untergrund jedoch weiter lebten. Die zur sozialistischen polnischen Staatsmacht oppositionelle Gewerkschaftsbewegung Solidarność bediente sich des Mythos, der Rituale und Symbole des Piłsudski-Kultes als Sinnbilder des Kampfes um Freiheit und Unabhängigkeit, für Demokratie und gegen Sowjetrussland.

Nach der politischen Wende in Mittel- und Osteuropa wurde der Piłsudski-Kult in Polen wieder institutionalisiert. Im ostpolnischen Projektraum gibt es mittlerweile in fast allen Städten wieder Piłsudskistraßen oder -plätze. Aber obgleich in mehreren polnischen Städten Piłsudski-Denkmäler wieder aufgestellt oder neu errichtet wurden, haben wir im Projektraum nur eine Plakette am Rathaus von Przeworsk (PL/ Podkarpackie) gefunden. Sie trägt die Inschrift: „Zum zehnten Jahrestag der siegreichen Abwehr der bolschewistischen Invasion“. Die erste Tafel, die 1931 am Rathaus angebracht wurde, ist zerstört worden. Im Jahre 1990 wurde durch das Bürgerschaftskomitee für Wiederaufbau „Solidarność“ die Tafel erneuert.



Am gegenüberliegenden Gebäude der Stadtverwaltung Przeworsk gibt es seit 2003 eine Gedenktafel für Wincenty Witos, einen politischen Gegner Piłsudskis, Mitbegründer der polnischen Bauernbewegung und Premierminister der Zweiten Polnischen Republik.

Er wurde 1874 im damals österreich-ungarischen Tarnów geboren und war von 1903 bis 1913 Mitglied des Obersten Rates der galizischen polnischen Bauernpartei und ab 1908 zusätzlich des Galizischen Landtages in Lemberg (Lviv).

Während des Ersten Weltkrieges befürwortete er die Zusammenarbeit mit Deutschland und Österreich-Ungarn, bis zum Ende des Krieges plädierte er jedoch im Wiener Parlament eindeutig für die Unabhängigkeit Polens und leitete im Oktober 1918 die Polnische Liquidationskommission.

Ende Juli 1920 wurde er zum Ministerpräsidenten der Regierung der Nationalen Verteidigung im Angesicht der unmittelbaren Bedrohung Warschaus durch die Rote Armee designiert. Mit kurzen Unterbrechungen führte er von 1923 bis 1926 als Ministerpräsident die Regierungsgeschäfte der Zweiten Republik, bis seine Regierung durch den Maiputsch Józef Piłsudskis gestürzt wurde. Als Piłsudski-Gegner wurde er 1930 verhaftet und in der Festung Brest arretiert. Nach der Haft emigrierte er bis 1939 in die Tschechoslowakei.

Nach seiner Rückkehr wurde er im September 1939 durch die deutsche Besatzungsmacht inhaftiert. Im September 1941 wurde er zwar aus der Haft entlassen, blieb jedoch bei ständiger Bewachung durch die Gestapo unter Hausarrest. 1945 – nach der Eroberung Polens durch die Rote Armee – zog er sich aus der Politik zurück und lehnte sowohl das Amt des Präsidenten des Landesnationalrates als auch die Einladung zu Gesprächen nach Moskau über die Gründung einer polnischen Regierung der nationalen Einheit ab.



In der gegenwärtigen ukrainischen Erinnerung an die Gründung und die Geschichte der Ukrainischen Volksrepublik gibt es in Lviv seit einigen Jahren ein Denkmal für Michajlo Hruschewski, den ersten Präsidenten der Ukrainischen Volksrepublik.
(Foto: Quelle http://wlodek.livejournal.com)



Die Persönlichkeit von Symon Petljura ist umstritten. Er wurde am 25. Mai 1926 in seinem Pariser Exil niedergeschossen und starb wenige Tage später. Der Täter, der jüdische Anarchist Scholom Schwartzbard, wurde von einem französischen Gericht freigesprochen, weil er in Vergeltung für den Tod von 15 Familienmitgliedern gehandelt habe, die bei den von Petljura organisierten Juden-Pogromen umgekommen seien. Zu den Opfern hätten auch die Eltern des Täters gezählt.

Anlässlich des 130. Geburtstages von Petljura hielt der damalige ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko eine Rede, in der er Petljura folgendermaßen würdigte: „Im Einvernehmen mit den führenden Kräften des Landes stand er auch im Exil an der Spitze des Staatlichen Zentrums der Ukrainischen Volksrepublik und setzte bis zum letzten Tag seines Lebens den Kampf für die Freiheit der Ukraine fort. Petljura war wie kein anderer für das kommunistische Imperium gefährlich. Am 25. Mai 1926 beendeten die Schüsse eines bolschewistischen Agenten sein Leben.“

In Rivne steht in einer Seitenstraße, die den Namen Petljuras trägt, eine Büste des Politikers, der im Februar 1920 auf seiner Flucht nach Polen in der Stadt für einige Wochen seinen Regierungssitz eingerichtet hatte. Das damalige Regierungsgebäude, heute Museum für Regionalgeschichte (Bild rechts), enthält keinen Hinweis auf diese Episode.



Auf ukrainischen Friedhöfen haben wir des Weiteren Gräber von führenden Repräsentanten der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung der frühen zwanziger Jahre gefunden.

Auf dem Dubenskyj-Friedhof in Rivne befindet sich das Grab von Vasyl Tjutjunnik (1882 – 1919). Er war Oberst im Generalstab der Armee der Ukrainischen Volksrepublik unter Symon Petljura und starb während des polnisch-ukrainischen Krieges in einem Hospital in Rivne. Auf seinem Grab stand ein schlichtes Kreuz, das 1989 durch einen repräsentativen Gedenkstein ersetzt wurde.



Das Grab von Kost Lewyzkyj, einem der maßgeblichen Führer der Westukrainischen Volksrepublik, befindet sich auf dem Lytschakiv-Friedhof in Lviv. Auch hier wurde die Grabstätte in den letzten Jahren erneuert. Lewyzkyj war von 1907 bis 1918 ukrainischer Abgeordneter des österreichischen Reichsrates. Nach der Auflösung von Österreich-Ungarn war er der erste Präsident der Regierung der Westukrainischen Volksrepublik. Er starb 1941 in Lviv.



Für den Präsidenten der Westukrainischen Volksrepublik, Ewghen Petruschewitsch wird gegenwärtig (2010) auf dem Lytschakiv-Friedhof in Lviv eine Kapelle errichtet.



An die oft namenlosen ukrainischen Kämpfer in den Konflikten zwischen den nach politischer Unabhängigkeit strebenden Ukrainern, den Interessen des jungen polnischen Nationalstaates und den Bolschewiki, die eine kommunistische Gesellschaft unter russischer Vorherrschaft errichten wollten, erinnern im ukrainischen Teil des Projektraumes mehrere Ehrengräber und Denkmäler, von denen einige ursprünglich in den ersten Jahren des Zweiten Weltkrieges mit Unterstützung der Deutschen Wehrmacht angelegt wurden. Diese wurden nach 1945 zerstört

Auf dem Friedhof des alten Brody befand sich ein solches Grabdenkmal. Es wurde in den vergangenen Jahren wieder errichtet.
(Foto: Vasyl Strilchuk)



Ebenfalls in Brody befinden sich auf dem Hof der St. Georgs-Kirche (Bild oben) und bei der Dreifaltigkeitskirche (Bild unten) zwei Ehrengräber, die allen ukrainischen Opfern der Kämpfe zwischen 1917 und 1921 gewidmet sind. (Fotos: Vasyl Strilchuk)

„Oh, Brody! Die Mumien deiner zerstampften Leichen haben mich angehaucht mit ihrem unwiderstehlichen Gift. Schon spüre ich die Todeskälte deiner Augenhöhlen, in denen die Träne gefror. Und nun – trägt rüttelnder Galopp mich fort vom zerkerbten Stein deiner Synagogen...“ (Isaak Babel: „Die Reiteramee“)



Auf dem Alten Friedhof in Wolodymyr-Wolhynski erinnert ein Grabmal an die ukrainischen Unabhängigkeitskämpfer gegen Polen und die Sowjetunion, die zwischen 1919 und 1920 gefallen sind. Das Denkmal wurde in der Zeit der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg gemeinsam von Ukrainern und Soldaten der Deutschen Wehrmacht errichtet. Deutsche Offiziere haben mit ukrainischen Partnern hier gemeinsame Begräbnisse für die Opfer ausgerichtet.

Heute gedenken die Einwohner der Stadt an diesem Grabmal des 22. Juni 1941, des Tages des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion und legen an diesem nationalen Trauertag Kränze nieder.



1994 wurde auf dem „Platz des Magdeburger Rechts“ vor dem Rathaus in Rivne ein Denkmal eingeweiht, das allen denen gewidmet ist, die für die Ukraine ihr Leben geopfert haben. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion stand an dieser Stelle das Denkmal zur Erinnerung an den sowjetischen Partisanen Nikolai Kusnitzow, das heute auf dem Dubenskyj-Friedhof seinen Platz gefunden hat.

Die Skulptur stellt ein keimendes Pflänzchen ins Zentrum, das von einem Kreuz umhüllt und von Flügeln gerahmt wird und die Hoffnung auf die Zukunft der ukrainischen Nation zum Ausdruck bringt.



Öffentliche Erinnerungen an Ereignisse im Zeitraum zwischen 1918 und 1920 knüpfen sich insbesondere im heute polnisch-ukrainischen Grenzgebiet an den polnisch-ukrainischen Krieg. Die Gründung der Westukrainischen Volksrepublik und die Besetzung der Stadt Lviv (poln. Lwów) durch ukrainische Soldaten begann mit dem Novemberaufstand in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November 1918. Alle öffentlichen Ämter wurden von Ukrainern besetzt.

Dieses Ereignis löste in der polnischen Öffentlichkeit Entsetzen aus. Lwów galt seit Jahrhunderten als ein geistig-kulturelles Zentrum Polens und die Möglichkeit, dass die Stadt von Polen abgetrennt und Hauptstadt eines ukrainischen Staates werden könnte, erschien undenkbar. In einer ohnehin nationalistisch aufgeheizten Atmosphäre begannen polnische Einwohner der Stadt sofort mit deren militärischer Verteidigung.

An die ukrainischen Sič-Schützen, die bei diesen Kämpfen ihr Leben gelassen haben, erinnert ein schlichtes Kreuz vor dem Eingang zum Lytschakiv-Friedhof.



Die Sič-Schützen aus Gródek Jagielloński (UA/ Horodok), die während des polnisch-ukrainischen Krieges und der Kämpfe um Lwów (Lviv) gefallen sind, wurden auf dem städtischen Friedhof in Horodok beigesetzt. In der Zeit, in der die Stadt zu Polen gehörte, waren ihre Gräber mit einfachen Holzkreuzen gekennzeichnet. Die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkrieges gestattete, dass 1942 ein steinernes Ehrenmal errichtet wurde. In der sowjetischen Zeit wurde das Denkmal bis auf die Grundmauern zerstört und 1990 nach alten Fotos wieder errichtet. Es wird gegenwärtig (Sommer 2010) saniert.



Aus dem ganzen Land eilten 1918 polnische Freiwillige – unter ihnen auch zahlreiche Frauen und Kinder – ihren Landsleuten in Lwów (Lviv) zu Hilfe. Mitte November brach eine Einheit der polnischen Armee durch den ukrainischen Belagerungsring und am 21./22. November war die Stadt in polnischer Hand.



Die polnischen Kindersoldaten, die an der Verteidigung von Lwów, teilnahmen, erhielten den Ehrennamen „Orlęta lwowskie“ (Lemberger Adler), der alsbald verallgemeinert angewendet wurde auf alle jungen Soldaten, die im polnisch-ukrainischen und im polnisch-bolschewistischen Krieg auf Seiten Polens kämpften und die „Orlęta“ genannt wurden. Ihnen ist u.a. auch ein Denkmal in Przemyśl gewidmet.



Von besonderer Bedeutung ist der Friedhof der Jungen Adler (poln. Cmentarz Orląt) auf dem Lytschakiv-Friedhof in Lviv. Er erinnert an die polnischen Gefallenen in den ukrainisch-polnischen Konflikten der Jahre 1918/19. Den Ukrainern war die monumentale Gedenkstätte, die in den Jahren der Zugehörigkeit der Stadt Lviv zu Polen errichtet wurde, stets ein Dorn im Auge. Sie betrachteten ihn als Ausdruck der überheblichen Arroganz polnischer Nationalisten und als Symbol Jahrhunderte währender polnischer Unterjochung. Vom Augenblick der Annektierung der Stadt durch die Sowjetunion an begannen die ersten mutwilligen Übergriffe auf den Friedhof. Grabsteine wurden mit antipolnischen Parolen beschmiert, Steinplatten zertrümmert, die beiden steinernen Löwen, die vor dem Triumphbogen aufgestellt worden waren, gestohlen. Am 25. August 1971 wurde der Friedhof von sowjetischen Panzern dem Erdboden gleich gemacht. Nach der politischen Unabhängigkeit der Ukraine wurde der polnische Militärfriedhof wieder errichtet und 2005 in einer feierlichen Zeremonie wieder eröffnet. Er ist heute ein von polnischen Touristen viel besuchter Anziehungspunkt.



Die Wiederherstellung des Friedhofs der polnischen Jungen Adler war auf Proteste ukrainischer Nationalisten gestoßen. Im Zuge eines Kompromisses wurde gleich neben dem polnischen Teil des Friedhofs eine Gedenkstätte für ukrainische Opfer im Kampf um staatliche Unabhängigkeit errichtet.



Ein Ehrenhain ist den gefallenen ukrainischen Kämpfern gewidmet, die im polnisch-ukrainischen Krieg gefallen sind. Der Sims trägt die Aufschrift „Sie starben für den ukrainischen Staat“.



Räumlich weit voneinander entfernt – im polnischen Rzeszów und im ukrainischen Rivne – stehen die Denkmäler für zwei Soldaten, die im polnisch-ukrainischen bzw. polnisch-bolschewistischen Krieg gefallen sind. Beide sind 1896 geboren, hatten in früher Jugend während des Ersten Weltkrieges eine verwandte Biografie als Soldaten der k.u.k. Armee, haben dann auf jeweils gegnerischer Seite gekämpft und sind beide in diesen Kämpfen gefallen, beide weniger als 25 Jahre alt. - Zwei Helden!

Oleko (Aleksa) Dundić war kroatischer oder serbischer Abstammung und kämpfte während des Ersten Weltkrieges in der österreichisch-ungarischen, später in der russischen Armee. 1917 wurde er Mitglied der Roten Garde und diente seit 1919 in der Ersten Reiterarmee von Semyon Budjonny, dessen Berater er wurde. Sein legendärer Mut brachte ihm unter den Truppen Budjonnys Verehrung und Anerkennung. Seit Juni 1919 war er stellvertretender Kommandant des 36. Regiments der 6. Kavallerie-Division. Bei Kämpfen um Rowno (Rivne) kam er 1920 im Alter von 24 Jahren ums Leben. Auch eine Straße in Rivne ist nach ihm benannt.



Leopold Lis-Kula war ein polnischer Offizier im Range eines Oberst, der heute in Rzeszów als Lokalheld verehrt wird. Bereits mit 15 Jahren gründete er mit seinen Schulkameraden in Rzeszów einen Geheimbund zum Kampf für ein unabhängiges Polen. Während des Ersten Weltkrieges gehörte er den polnischen Legionen auf Seiten der k.u.k.-Monarchie an. Nach der Unabhängigkeit Polens und der Gründung der polnischen Streitkräfte kämpfte er an der Ostfront gegen die Westukrainische Volksrepublik. Mit 22 Jahren wurde er der erste Kommandant der POW's, einer geheimen polnischen Militärorganisation in Kiev und Vertrauter Piłsudskis. In der Nacht vom 6. zum 7. März 1919 wurde er bei einem Angriff auf ukrainische Truppen bei Torczyn schwer verwundet und starb wenige Stunden später im Alter von 23 Jahren an Blutverlust.

Das Denkmal wurde erstmals 1932 errichtet und 1940 von den deutschen Besatzern vollständig zerstört. Das jetzige Monument ist eine Replik des ursprünglichen Werkes und wurde 1992 aufgestellt.



Einen besonderen Platz in der Erinnerungskultur Galiziens und Wolhyniens nimmt noch immer die rotarmistische Reiterarmee unter General Semyon Budjonny ein.

„Gestern, um Mittag, von der allgemeinen Wut ergriffen, begegnete er den Weißpolen in einem Gegenangriff; gestern stieß er auch zum erstenmal, Brust an Brust, mit einem bartlosen Legionär zusammen. Mit vorgestrecktem Gewehr stürzte jener auf ihn zu, mit einem französischen Bajonett, das lang wie ein Säbel war. Er lief und schrie dabei etwas Unzusammenhängendes.
Einige Augenblicke sah Sergej in seine vor Wut erweiterten Augen. Noch einen Augenblick, und Sergej schlug mit dem Ende seines Bajonetts auf das des Polen. Die glänzende französische Klinge flog zur Seite…
Der Pole fiel …
Sergejs Hand zuckte nicht.
Er weiß, dass er noch manches Mal töten wird, er, Sergej, der so zärtlich lieben, der so fest Freundschaft wahren kann.  Er ist kein böser, kein grausamer Bursche. Aber er weiß, dass diese von den Parasiten der Welt geschickten, betrogenen und bösartigen, aufgehetzten Soldaten in ihrem tierischen Hass gegen die geliebte Republik ausgerückt sind.
Und er, Sergej, tötet, um den Anbruch des Tages zu beschleunigen, da man auf der Welt einander nicht mehr töten wird.
Und eine Woche später fand Serjosha Brusshak beim ersten Gefecht in der herbstgesättigten Steppe den Tod.
Eine aus der Ferne kommende blinde Kugel hatte ihn getroffen. Sein Körper erzitterte unter dem Einschlag. Er machte ein paar Schritte vorwärts, trotz des brennenden Schmerzes, der ihm die Brust zerriß, schwankte, bekam keinen Laut über die Lippen, griff in die Luft. Dann drückte er heftig die Hände gegen die Brust, und vornübergebeugt, als mache er sich zum Sprung bereit, schlug er mit bleiernem Körper zu Boden. Seine blauen Augen starrten unbeweglich in die Unendlichkeit der Steppe.“
(Ostrowski, Nikolai: „Wie der Stahl gehärtet wurde“, S. 211)

Obwohl die Reiterarmee zahlreichen zeitgenössischen Berichten zufolge wohl eher als eine plündernde, mordende Horde mit antisemitischen und teilweise sogar antibolschewistischen Tendenzen zu betrachten ist, wurde General Budjonny auch nach seiner Niederlage im Oktober 1920 vor Lviv zu einem glorreichen Helden der Roten Armee verklärt.

Die Rote Armee hatte damals bereits eine Stärke von nominell fünf Millionen Mann. Doch diese Übermacht täuschte. Die Truppen waren schlecht ausgebildet und teilweise unzureichend bewaffnet. Schon im Bürgerkrieg hatte sich gezeigt, dass Einheiten der Roten Armee oft gegen zahlenmäßig stark unterlegene Weiße Truppen chancenlos waren. Zwar hatte die Rote Armee einige Waffendepots der deutschen Armee und einige französische Panzer von den Weißen erbeutet, doch auf die Gesamtbewaffnung der Streitkräfte wirkte sich das kaum aus. In einem Punkt waren die Russen allerdings durch den Bürgerkrieg im Vorteil: Sie hatten bereits 1919 im Kampf gegen die Kosaken erkannt, dass im Krieg zwischen gering technisierten Armeen in den Weiten des europäischen Ostens die Kavallerie ein entscheidender Faktor war.

Ihre polnischen Gegenspieler gingen in dieser Hinsicht einen anderen Weg. Die meisten Offiziere hatten aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges den Schluss gezogen, dass die Kavallerie den materiellen Aufwand, den ihr Unterhalt erforderte, nicht rechtfertigte.

Am 15. Mai 1920 startete im polnisch-bolschewistischen Krieg eine Offensive der Roten Armee gegen die polnischen Streitkräfte, die bereits bis nach Kiev vorgedrungen waren. Dass die Rote Armee die feindlichen Streitkräfte in kurzer Zeit bis ins polnische Kernland zurück warf, ist dabei nicht unwesentlich auf die Vorstöße der Reiterarmee zurück zu führen.

Im Juni 1920 begannen – etwa zeitgleich mit dem Angriff auf Warschau - die Einheiten der Roten Armee mit der Belagerung von Lwów (Lviv). Hier kämpfte auch das 1. Kavalleriekorps unter Führung Budjonnys. Dieses Vorgehen erwies sich jedoch als schwerwiegender Fehler. Während die Nordwestfront auf Warschau vorrückte, wurde der Südwestfront der Angriff auf Lwów (Lviv) befohlen. Hätte man beide Fronten auf die polnische Hauptstadt konzentriert, hätten die Bolschewiki die doppelte Stärke inklusive eines weiteren Kavalleriekorps zur Verfügung gehabt. Für diese Fehlentscheidungen wird von einigen Historikern Josef Stalin verantwortlich gemacht, der als Politkommissar der Südwestfront großen Einfluss auf deren Ziele hatte.
Nach der verlorenen Schlacht an der Weichsel war es auch der bolschewistischen Südwestarmee nicht gelungen, Lwów (Lviv) zu erobern. Zwar gelang es der Reiterarmee, zunächst, weiter nach Westen vorzurücken, sie wurde jedoch Ende August/ Anfang September 1920 von der inzwischen erfolgreich aufgebauten polnischen Kavallerie eingekesselt und geschlagen, sodass sie sich in Auflösung befindlich bis nach Zhytomyr zurück zog. Es war das letzte reine Kavalleriegefecht in der Kriegsgeschichte Europas.

Trotz dieser Niederlagen wurde der Mythos um Budjonny und seine Reiterarmee in den folgenden Jahrzehnten weiterentwickelt und gehörte zu den geistigen Grundlagen des sowjetischen Geschichtsverständnisses. An vielen Orten, die mit den Kämpfen der Reiterarmee verbunden sind, wurden Denkmäler errichtet.

Vor und während des polnisch-bolschewistischen Krieges 1920/21 diente in Wolodymyr-Wolynski das Gebäude der heutigen Musikschule als Hauptquartier des Stabs von Semyon Michailowitsch Budjonny. Eine Gedenktafel am Eingang erinnert an Budjonnys Aufenthalt.



Auf der Grabstätte für die in den Gefechten bei Rivne gefallenen Roten Reiter wurde bereits 1959 ein Denkmal aufgestellt. 1975 wurde daneben eine neue, monumentale Gedenkstätte eingeweiht.



Zu den eindrucksvollsten Skulpturen, welche die Rote Reiterarmee idealisieren und verherrlichen, gehört das Budjonny-Denkmal an der E40 zwischen Brody und Lviv. Es erinnert an die Belagerung von Lwów (Lviv) im Jahre 1920 und stellt auf einem Hügel unmittelbar neben der Straße einen kraftvoll stürmenden Reiter dar, dessen Pferd durch die Luft zu fliegen scheint,. Eine zweite Figur hinter dem Frontreiter suggeriert eine nachfolgende zahllose Schar von Mitkämpfern, in die sich der Betrachter selbst einreihen kann und welche die Siegeszuversicht, Kontinuität und die Einheit der sozialistischen Gemeinschaft beschwört.

In den letzten Jahren wurde die E40 im Zuge der Modernisierung der Straße um einige Dutzend Meter zur Seite verlegt, sodass der Überraschungseffekt der plötzlich über der Straße auftauchenden dahinjagenden Reiter nicht mehr eintritt. Das Monument wurde auf diese Weise faktisch „beiseite gerückt“. Und das ist vielleicht auch gut so.