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Kriegsvorbereitungen und Festungsbau

In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzogen sich auch in Galizien und Wolhynien gesellschaftliche Veränderungen, welche für die Geschichte der Region von wesentlicher Bedeutung sind:

Stärkung des polnischen (1910: 500. Jahrestag der Schlacht bei Grunwald) und Entwicklung eines ukrainischen Nationalbewußtseins, das von der k.u.k.-Administration unterstützt wurde, jedoch die Spannungen zwischen den polnischen und ukrainischen Bevölkerungsteilen verschärfte. Hauptursachen dafür waren soziale und religiöse Unterschiede. Im 19. Jahrhundert schritten sowohl im russischen wie im österreichischen Teil der heutigen Ukraine soziale und wirtschaftliche Modernisierungen voran, freilich weitgehend ohne Beteiligung der Ukrainer (Ruthenen). Den exportorientierten, kommerzialisierten Ackerbau betrieben nicht die ukrainischen Bauern, sondern die russischen und polnischen Adligen und die deutschen Kolonisten. Der Handel war vor allem in den Händen von Juden und Russen. Zudem hatte - ähnlich wie in Polen - die Kirche in der Ukraine eine wesentliche Bedeutung für die Entwicklung des Nationalbewusstseins. Die Zugehörigkeit zu den „Unierten“ grenzte die Ukrainer (Ruthenen) nach Osten hin von der russisch-orthodoxen Herrschaft und nach Westen hin von der römisch-katholischen ab. Die Religionszugehörigkeit war damals ein wesentliches Element des ukrainischen Selbstverständnisses, zumal eine kulturell-intellektuelle Nationalbewegung im Vergleich zu anderen europäischen Ländern erst sehr spät entstand.

In einem gesamteuropäischen Zusammenhang verschärfte sich auch der Interessengegensatz zwischen Österreich-Ungarn und Russland. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen deshalb auch in den durch Russland und Österreich-Ungarn besetzten Gebieten Polens verstärkte Anstrengungen zur Grenzsicherung.


Die strategische Lage der Stadt Przemyśl unweit der nunmehr österreichischen Grenze zu Russland führte bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Ausbau der Stadtbefestigung, indem zunächst vorhandene ältere Befestigungsanlagen erneuert wurden. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Przemyśl intensiv am Bau einer der größten Festungsanlagen Europas gearbeitet. Weit mehr als 52,5 Millionen Kronen kostete der Bau, 125.000 Arbeiter waren beschäftigt, Wirtschaft und Verkehr blühten in einem bis dahin nicht gekannten Maße auf. Es entstand die zweitgrößte Festung Europas (nach Verdun). Sie bestand aus zwei Kreisen: Dem Innenring mit 18 Forts, drei Schanzen und vier Artillerieständen und dem Außenring, der 45 km Umfang und 15 Hauptforts, 29 Unterstützungsforts und 29 Artilleriepositionen hatte.

Ein historisches Foto vom Bau der Festung lässt die Dimension des Bauvorhabens ahnen. Was jedoch zunächst als „Wirtschaftswunder“ erschien, sollte sich ein halbes Jahrhundert später in die Erinnerung an die politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts unauslöschlich einbrennen.



Auf russischer Seite wurde zwischen 1895 und 1900 die Festung Tarakaniv in der Nähe von Dubno errichtet, um die Westgrenze zum österreichisch-ungarischen Imperium zu sichern. Das Bauwerk entsprach den modernsten Anforderungen dieser Zeit. Es ist ebenerdig angelegt und besteht aus Zement, Ziegelsteinen und gusseisernem Baumaterial. In der Mitte des vierseitigen Komplexes stand eine zweigeschossige Baracke als Haushalt, Lager und Wohnraum der Besatzung. Die Garnison bestand aus Artillerie, Bediensteten der Kommandantur und Angestellten der Festungskirche.